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Wie es ein YouTube-Video in den Lehrplan schafft

„Welt, seid mir gegrüßt.“ So werden die Zuschauer willkommen geheißen und mit einem charmanten Lächeln wöchentlich auf eine persönliche Reise des selbsternannten Helden mitgenommen. Und wenn ein Held sich an die Welt wendet, ist Aufmerksamkeit garantiert. Denn ein Held steht schließlich für Gerechtigkeit ein. Ein wohlfeines Ansinnen und wie es schon 1962 bei Spiderman hieß: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ Gelegentlich kommt aber auch ein Held ins Straucheln und wählt die falschen Mittel, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Sodann, begeben wir uns raus aus dem Marvel-Universum und rein in die Schulpolitik.

Polemik zur Seite: Persönliche Enttäuschungen, den Schulplatz an der Wunschschule nicht erhalten zu haben, evtl. auch einen längeren Schulweg außerhalb des sozialen Umfelds in Kauf nehmen zu müssen, sind nur allzu gut nachvollziehbar. Sich dem Ärger Luft zu machen und der Enttäuschung Gehör zu verschaffen, ist ebenso verständlich. Wenn jedoch Sarkasmus, rhetorisches Geschick und persönliche Frustration aufeinandertreffen, leiden oftmals andere. In diesem Fall unsere Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Lehrkräfte. Kurzum, die Schulgemeinde. 

Seit mehreren Wochen erscheinen auf einem YouTube-Kanal Videos bzgl. der Frankfurter Schulpolitik. Als Aufhänger dient unser neu gegründetes Gymnasium, oder wie es im Heldenvideo bezeichnet wird, der „Container-Friedhof“ (23.09.2024). Dass bei Kindern und Eltern „Container“ mit Abfall und „Friedhof“ mit Tod assoziiert wird, sei an dieser Stelle dahingestellt, offenbart aber eindrücklich, für welchen Duktus sich der Sprecher bewusst entschieden hat.   

In meiner Funktion habe ich u.a. die Aufgabe, die Schule nach außen zu vertreten, den Schulfrieden sicherzustellen und mich vor die mir anvertrauten Kinder zu stellen, wenn Unwahrheiten über ihre Schule verbreitet werden. Auch das Lehrerkollegium, welches außergewöhnlich engagiert und hochmotiviert ist, obliegt meiner Fürsorge und ist zutiefst irritiert über die Inhalte der Freitagabendfilme. Eltern, die sich bewusst für uns als Erst- oder Zweitwunsch entschieden haben, bleiben fragend zurück.

Exemplarisch möchte ich auf getätigte Aussagen aus dem Video vom 20.09.2024 eingehen. Grundsätzlich scheinen die unterschiedlichen Akteure (Schule, Staatliches Schulamt, Stadtschulamt, Amt für Bau und Immobilien) und deren Aufgabenfelder nicht verstanden zu werden. Das mag als nichtschulischer Beobachter von außen tatsächlich nicht so einfach sein. Ist an dieser Stelle aber nicht mein Fokus. Viel erschrockener bin ich über die Selbstgefälligkeit, wie über schulische Prozesse und Gegebenheiten fabuliert wird.

Einige Beispiele:

a. „Wir haben „jwd“, also wirklich, hinter den sieben Bergen zwei neue Schulen bekommen […]. Es ist wirklich ganz, ganz weit weg.“

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Die Schule liegt in Bockenheim. Oben genanntes Zitat suggeriert, die Schule sei am äußersten Stadtrand und nicht am ÖPNV angeschlossen. Das ist falsch. Die Schule mag nicht vor seiner Haustür liegen. Aber in Frankfurt hat niemand einen Rechtsanspruch, sein Kind auf eine ganz bestimmte weiterführende Schule zu schicken, die sich direkt vor der Haustür befindet.   

b. Sinngemäß: Die Mitarbeiter der Stadt sind die Resterampe für Jobs, die keiner machen will.

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Eine äußerst despektierliche Aussage, die dem gesamten Personal der Stadt Frankfurt – man weiß nicht, wen er meint (vgl. oben Stadtschulamt, Staatliches Schulamt etc.) – Versagen vorwirft.

c. „Es gibt nur ein paar Kinder dort, denn alle, die konnten, haben sich rausgeklagt aus der Schule […]“

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Die Grundlage dieser Aussage ist nicht ersichtlich. Es gibt kein einziges Kind bzw. Elternteil, welches sich bei uns herausgeklagt hat. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass das Zuteilungsverfahren des Staatlichen Schulamtes nicht rechtssicher sei und man durch den Klageweg den Schulplatz seiner Wahl erhält. Das ist falsch. Dass im Nachgang der Zuweisung nicht alle Kinder auf unsere Schule gekommen sind, liegt an dem Nachrückverfahren der angegebenen Erst- und Zweitwunschschulen. Das heißt, wenn ein Platz an einer anderen Schule frei geworden ist (z.B. durch Wegzug), wird aufgrund der Warteliste automatisch der Platz nachbesetzt. Dieses Verfahren steht aber nicht im Zusammenhang eines Klageprozesses.

d. Bzgl. der Aufnahmefeier für die Kinder (sinngemäß): Der Saal brodelte, dass die Kinder in irgendwelchen Schrottcontainern abgestellt werden. 

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In Vergessenheit gerät hier anscheinend die Tatsache, dass annährend die Hälfte aller Kinder das Stadtgymnasium als Erst- bzw. Zweitwunsch gewählt haben. Wie in einem anderen Video erwähnt, war der Sprecher auf Beerdigungen, wo die Stimmung besser war. Polemik, mit der Stimmung gegen die Schulgemeinde gemacht wird. Intention: offen. Bei allen drei Durchgängen stand ich am Ende beim Ausgang, wo die Kinder ihre Starter-Sets (finanziert durch die Stadt Frankfurt) abgeholt haben. Sehr viele Eltern sind daraufhin zu mir gekommen, haben mir die Hand gegeben und sich für die Worte und die Feier bedankt.  

e. Einrichtung einer Schulbuslinie: Die Stadt Frankfurt kann für ausgewählte Kinder eine Schulbuslinie einrichten. Dabei prüft die Stadt, ob das Kind anspruchsberechtigt ist (nach §161 HSchG). Hierfür müssen die folgenden Kriterien erfüllt sein: Das Kind wurde zugewiesen, das heißt, der Erst- und Zweitwunsch wurde nicht erfüllt. Der Schulweg dauert länger als 45 min mit mind. zweimaligem Umsteigen.

f. Schwangerschaft einer Kollegin: „Wenn du dann als Direktor und als Schulamt keinen Plan B in der Tasche hast, […] dann ist das besonders doof. […] Dann fallen halt Stunden aus, viele. […] Schulleitung und Schulamt finden das aber anscheinend erstrebenswert.“

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Wie sich wohl eine Kollegin fühlen mag, die durch ein Beschäftigungsverbot aus gesundheitlichen Gründen ihren Dienst nicht mehr antreten darf, und dann so einen Kommentar öffentlich zu hören bekommt? Mütter können die Frage schnell beantworten. Dass viele Stunden ausgefallen sind, ist falsch. Im Vormittagsbereich sind ausnahmslos alle Stunden vertreten worden. Nicht in Form von Spielen und Filmeschauen, sondern durch den von der schwangeren Kollegin vorbereiteten Fachunterricht. Es ist unwürdig, in so einem Format eine Schwangerschaft als Versagen der Schulleitung bzw. des Schulamtes darzustellen. In kürzester Zeit wurde eine examinierte Vertretungslehrerin akquiriert. Dass diese Umsetzung nicht innerhalb von 24 Stunden geschehen kann, hat u.a. auch vertragsrechtliche Gründe. Die Eltern der betroffenen Klassen wurden am Tag des Beschäftigungsverbotes umgehend schriftlich von mir über den SEB informiert.   

g. Angebliche Prüfung der Gymnasialeignung: Es wird suggeriert, dass durch Tests an der Schule die Gymnasialeignung in Jgst. 5 überprüft wird. Das ist auf unterschiedlichsten Ebenen sachlich und inhaltlich falsch. Eine etwaige Nicht-Empfehlung, die von der Grundschule ausgesprochen wird, ist kein Ausschlusskriterium für eine Aufnahme am Gymnasium. Die Tests, die wir als Schule durchgeführt haben, waren Diagnosetests bzgl. einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) von den Kindern. Nur dadurch kann eine individuelle Förderung der betroffenen Kinder in eigens dafür eingerichteten Kursen nach den Herbstferien stattfinden, ein sehr wichtiges Unterstützungsangebot für Kinder mit LRS, das mit Eignungstests allerdings nicht zu verwechseln ist.

Diese Auszüge aus nur einem einzigen Video sind ein gutes Beispiel, wie soziale Netzwerke funktionieren können, aber nicht müssen.

Wie Inhalte reflektiert werden und zuvor einer kritischen Analyse unterliegen, wollen wir unseren Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg geben. Wir möchten sie zu mündigen, demokratischen Wesen in einer komplexen, oft unübersichtlichen Gesellschaft erziehen und durch qualitativ hochwertige Bildung einen Beitrag leisten. Unser Unterrichtsfach Digitale Welt ist nur ein Baustein davon und das YouTube-Video kann anschauliches Material für den Unterricht bieten, um diese Reflexionsebene zu erlernen. Medienaffine Eltern oder Influencer wären eine Bereicherung für die Kinder, um aus erster Hand Chancen und Gefahren des Netzes kennenzulernen. Und mit Netz ist dieses Mal nicht Spiderman gemeint.     

Torsten Schulz

 

 

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